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Ehemalige Herrenmühle   –   1770: Der Herrenmühle sei Dank

1770 und 1771 herrschte in Europa und auch in Baden eine der größten Hungersnöte, die die Geschichte kennt. Freiherr von Drais berichtet darüber in seinem Buch „Geschichte der Regierung und Bildung von Baden unter Karl-Friedrich“ (1816 Mannheim).

Verursacht wurde diese Not durch Ernteausfälle, die durch Kälte, nasses Wetter und Überschwemmungen hervorgerufen wurden. Aber auch das Fehlen von Männern auf den Landwirtschaftshöfen, die sich als Soldaten für den 7-jährigen Krieg hatten anwerben lassen, hat wesentlich dazu beigetragen. Der Fruchthandel nahm 1770 schon teilweise groteske Züge an, wobei das Horten von Feldfrüchten nur einer von vielen Tatbeständen war. Die Preise für Feldfrüchte stiegen rasant. Frucht-Aufkäufer, insbesondere aus der Schweiz und dem Elsass, sorgten dafür, dass die angespannte Preissituation weiter eskalierte. Karl-Friedrich folgte daher dem Vorschlag seines Kammerdirektors, ein Ausfuhrverbot für Feldfrüchte zu erlassen.

Im September 1770 erreichte ein Getreidetransport aus Potsdam auf seinem Weg nach Paris Kehl. Der Preußische König Friedrich der Große war der Bitte seiner teilweise in Frankreich lebenden Verwandtschaft nachgekommen und schickte mit einem Transport 620 Preußische Scheffel (Scheffel=54,91 Liter /ca. 52 kg) als Nahrungshilfe nach Frankreich (insgesamt mehr als 32 Tonnen). Die Festung Kehl gehörte zum Herrschaftsbereich des Schwäbischen Kreises. In Kehl dienten Soldaten der Reichsarmee. Oberbefehlshaber der Reichsarmee war der Durbacher Joseph Heinrich von Ried, der Eigentümer des seinerzeit in Europa berühmten Weinguts Hespengrund und von Herzen Durbacher war (er wurde 1718 in Durbach geboren).

Die Soldaten in Kehl stoppten den Transport und verweigerten die Übersetzung über den Rhein. Sie meldeten ihrem Oberbefehlshaber Feldmarschall von Ried den Transport. Von Ried ließ das Getreide sofort beschlagnahmen. Er bekleidete nicht nur das Amt des höchsten Militärs in Vorderösterreich, sondern war auch der politisch verantwortliche Minister unter Kaiserin Maria Theresia.

Markgraf Karl-Friedrich erfuhr von der Beschlagnahmung des Getreides und schrieb von Ried, dass er als Badischer Landesherr dem Transport des Preußenkönigs auf dessen Bitte hin Durchfahrtsrecht gewährt habe. Er bat von Ried (er kannte ihn als Nachbarn zu Schloss Staufenberg in Durbach bestens), den Transport die Rheinübersetzung zu erlauben. Von Ried, der den Markgrafen verehrte und den Preußenkönig aus seiner Zeit als Gesandter am Preußischen Hof in Potsdam kannte, ließ den Transport ziehen, allerdings erhob er einen Wegzoll in Höhe von 25 % der Getreidemenge. Er ließ insgesamt ca. 9 Tonnen einbehalten.

1 Tonne Getreide blieb in Kehl und wurde dort verteilt. 8 Tonnen wurden nach Durbach gebracht und in die Landenberger Mühle (auch Landerer Mühle, später Herrenmühle genannt) eingelagert. Die 1588 erbaute Mühle wurde von der Familie Naßal (Nasal) betrieben, die den Auftrag erhielt, das Getreide in Monatsrationen zu mahlen und das Mehl kostenlos an die Durbacher Familien zu verteilen. In Durbach waren in dieser Zeit ca. 220 Familien beheimatet, die durch diese Gabe die Hungersnot nicht mehr spüren mussten.

Joseph von Ried schrieb in einem Brief an seinen Freund Friedrich Adolf Freiherr Roeder von Diersburg, dass der Preußenkönig (Alter Fritz) sich des Zolls wegen „nicht beschwehret hat und in Durbach niemand an Hunger in der Notzeit gestorben sei“. Die Familie Nasal als Betreiber der Landenberger-/Herrenmühle sind der Anweisung des Durbachers von Ried gefolgt. Gemahlen haben sie bis 1771 und damit zusammen mit dem Freiherrn von Ried den Durbacher Bewohnern das Überleben gesichert.

Das alte Gebäude der Landenberger- / Herrenmühle wurde Anfang der 1960-er Jahre abgebrochen und neu aufgebaut. Das Anwesen gehört heute der Familie Seebacher. Am Gebäude befinden sich noch zwei alte Mühlsteine, die an die Hungersnot erinnern.

Text-Autor: Armin Wagner Lahr
Quellen: GLA Karlsruhe, Drais: Geschichte Regierung Karl-Friedrich, Nachlass von Schweickhardt
Bilder: Archiv Joseph Werner, Durbach, Nachlass von Schweickhardt, Armin Wagner Lahr

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